Die Geschichte des Wolfes in der Schweiz
Ausrottung
Der Wolf war früher in der ganzen Schweiz verbreitet und besiedelte alle Lebensräume, welche ihm zusagten. Dies waren im wesentlich die Lebensräume, die auch von seiner Nahrung, den Wildhuftieren, besiedelt waren und die ihm genug Deckung boten. Mit dem Aufkommen von Schusswaffen wurden jedoch viele seiner natürlichen Beutetiere (Reh, Rothirsch, Wildschwein) bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts nahezu oder ganz ausgerottet und der Wolf musste auf andere Nahrungsquellen ausweichen. Dies führte zu einem starken Anstieg der Übergriffe auf Nutztiere. Zu der damaligen Zeit gab es weder ein Entschädigungssystem noch sonst eine Möglichkeit, den Ertragsausfall zu kompensieren, was einem damals die Existenz bis hin zum Leben kosten konnte. Zwar wurde der Wolf auch schon lange davor bejagt, doch offenbar war seine Präsenz tolerierbar, solange seine natürliche Beute noch vorhanden war. Erst deren Ausrottung besiegelte auch das Schicksal des Wolfs.
Während er aus dem Mittelland bereits im 17. Jahrhundert verschwand, hielt der Wolf sich in den Alpen und im Jura bis ins 19. Jahrhundert. Beispielsweise wurden im Maggia- und Verzascatal/TI zwischen 1852 und 1859 noch 53 Wölfe erlegt, ebenso traten zu dieser Zeit auch in anderen Tälern noch Rudel auf. Der offiziell letzte einheimische Wolf wurde schliesslich 1871 bei Iragna/TI erlegt. Später (bis 1874) wurden zwar weitere Wölfe im jurassischen und solothurnischen Jura beobachtet, allerdings sind diese wohl aus den Vogesen oder dem Massif Central in Frankreich zugewandert und waren somit Grenzgänger. Als Standwild ist der Wolf in der Schweiz also in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschwunden, aber entgegen bisheriger Vermutungen ist er damals noch nicht gänzlich verschwunden.
Im 20. Jahrhundert wurden in vielen Kantonen weiterhin Wölfe beobachtet, erlegt wurden deren vier: 1947 bei Eischoll/VS (Männchen), 1954 bei Poschiavo/GR (Weibchen), 1978 bei Lenz/GR (Männchen) sowie 1990 bei Hägendorf/SO (Männchen). DNA-Analysen zeigten, dass die ersten beiden Tiere zu den letzten Exemplaren der ursprünglichen, autochthonen Alpenwölfe gehörten. Der Wolf 1978 gehörte genetisch zu einer Wolfspopulation in Osteuropa (Baltikum), derjenige von 1990 zur Wolfspopulation des nahen und mittleren Ostens. Zumindest letzterer ist demnach mit grösster Wahrscheinlichkeit nicht natürlich eingewandert. Bei ihm war es zudem offensichtlich, dass er zuvor in einem Gehege gelebt hatte, da seine Zähne für ein wildes Tier trotz besten Alters viel zu stark abgestumpft waren. Wie dieser Wolf in die Freiheit kam, konnte nie geklärt werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass er aus einer illegalen Haltung entwichen ist (evt. in Frankreich, da er grenznah auftauchte).
Die obigen Informationen zur Herkunft der Schweizer Wölfe im 20. Jahrhundert (vor 1995) entstammt einer 2019 publizierten genetischen Studie, die nachfolgend heruntergeladen werden kann: Last but not beast: the fall of the Alpine wolves told by historical DNA
Ausbreitung in Italien
Auch in Italien wurde der Wolf fast überall ausgerottet. Einzig in den Abruzzen östlich von Rom und einigen angrenzenden Gebirgszügen überlebte eine kleine Population von rund 100 Tieren. Diese stand 1972 kurz vor der Ausrottung, als der Wolf endlich unter gesetzlichen Schutz gestellt wurde. Zuvor durften Wölfe in Italien von jedermann immer und überall mit allen Methoden getötet werden. Zur selben Zeit als die Unterschutzstellung des Wolfes erfolgte, wurden in Italien verschiedene Huftiere (welche dort wie bei uns mehrheitlich ausgerottet wurden) aus jagdlichen Gründen wieder angesiedelt, was auch dem Wolf zugute kam. Er konnte sich somit wieder im ganzen Apennin ausbreiten.
1987 erreichten die ersten Tiere die italienischen Alpen, kurz darauf auch die französischen. Danach nahm die Zahl der Wolfsmeldungen ständig zu. 1992 bildete sich schliesslich im französischen Nationalpark Mercantour an der italienischen Grenze das wohl erste Wolfsrudel der Alpen im 20. Jahrhundert und weitere folgten bald. Nun breiteten sich die Wölfe in den Alpen weiter Richtung Norden aus und erreichten Ende 1994 (erste Sichtungen, Nachweis 1995) die Schweiz (siehe Einwanderung). Die gesamte Population, die sich von Kalabrien im Süden Italiens über den ganzen Apennin bis in die Alpen erstreckt, umfasst wieder rund 2'000-3'000 Tiere.
Heutige Situation in den Alpen
In den Alpen leben heute wieder über 100 Wolfsrudel und damit gegen 1'000 Wölfe. Die überwiegende Mehrheit der Wölfe lebt in den Südwestalpen in Frankreich und Italien.
Ein weiterer Meilenstein nach dem Auftauchen der ersten Wölfe in der Schweiz 1995 war der Erstnachweis eines weiblichen Wolfes im Zwischbergental/VS im Jahr 2002. Alle anderen Einwanderer bis dahin waren Männchen. 2006 wurden gleich zwei weitere weibliche Tiere nachgewiesen, eines davon wurde im Goms erlegt. Das andere lebte im Chablais, wo zur gleichen Zeit ein männliches Tier erlegt wurde. Vieles deutet darauf hin, dass im Chablais das erste Wolfsrudel der Schweiz lebte. Das vierte Weibchen wurde 2009 in den Nordwestalpen (Kt. Bern und Freiburg) bestätigt. 2010 und 2011 wurde je ein weiterer weiblicher Wolf nachgewiesen. Eines dieser beiden Weibchen verpaarte sich 2012 mit einem Rüden in der Calanda in den Kantonen Graubünden und St. Gallen, woraus das erste Wolfsrudel der Schweiz seit rund 150 Jahren entstand. Mittlerweile leben in der Schweiz sieben bis neun Rudel, alpenweit leben über 100 Wolfsrudel (Stand 2020).