Ein Überblick zum Wolf im Mittelland und Jura

News vom 18. Januar 2024 

 

Der Wolf breitet sich weiter aus. Dass vermehrt Wölfe auch im Mittelland auftauchen, ist deshalb zu erwarten, wobei dies erstmalig schon vor über zehn Jahren der Fall war. Der Wolf ist also auch im Mittelland nicht mehr sonderlich "neu", sondern längst eine Realität. Im Jura haben sich bereits Rudel etabliert. Wir geben hier einen aktuellen Überblick über den Stand der Dinge. 

 

Während der Jura unstrittig ein gutes Habitat für Wölfe darstellt, gehen die Meinungen beim Mittelland auseinander. Fakt ist, dass Wölfe im Jura mehrere Rudel gebildet haben, sich weiter ausbreiten und dabei auch vermehrt ins Mittelland vorstossen. Wir geben nachfolgend einen Überblick über die aktuelle Lage. 

 

Wolfsrudel im südlichen Jura

 

Der Jurabogen liegt etwa zu Zweidritteln auf französischem Boden und zu einem Drittel in der Schweiz. Die Mitte markiert etwa der Kanton Neuenburg. Der Wolf wurde im Jura Ende des 19. Jahrhunderts vorübergehend ausgerottet, letzte Hinweise auf Rudel datieren ca. von 1890. Die Rückkehr begann nachweislich im Jahr 2004, als erstmals wieder ein Wolf im französischen Jura bestätigt wurde. Er stammte - wie auch fast alle danach - aus der Wolfspopulation des Alpenraumes. Das erste Rudel bildete sich 2019 im Gebiet Marchairuz auf Schweizer Boden, wobei sich das Rudel aber in der Folge auch grenzüberschreitend auf französischem Boden bewegte. Heute leben im Jura fünf Wolfsrudel, alle im südlichen Jura entlang der waadtländisch-französischen Grenze. In allen anderen Teilen des Juras gibt es noch keine Wolfsrudel, auch nicht im übrigen französischen Jura. 

 

  • Rudel Marchairuz (seit 2019, Schwerpunkt auf Schweizer Boden)
  • Rudel Risoux (seit 2021, grenzüberschreitendes Rudel)
  • Rudel Mont-Tendre (seit 2022, Schwerpunkt auf Schweizer Boden)
  • Rudel Jougne (seit 2022, grenzüberschreitendes Rudel)
  • Rudel Haute-Chaîne du Jura (seit 2022, Schwerpunkt auf französischem boden)

 

Wölfe im nördlichen Jura

 

Noch keine Wolfsrudel gibt es im nördlichen Jura, d.h. vom Kanton Neuenburg an nordwärts. Jedoch nimmt die Zahl der in diesem Gebiet festgestellten Einzelwölfe zu. Es dürfte sich bisher um durchziehende Einzeltiere gehandelt haben. Die Nachweise des Jahres 2023 zeigen jedoch, dass es die Tendenz gibt, dass sich Wölfe probieren zu etablieren. Alleine im Jahr 2023 wurden im nördlichen Jura sechs verschiedene Wölfe genetisch nachgewiesen. 

 

  • M121 (geboren 2019 im Marchairuz-Rudel, hielt sich im Herbst 2023 im Berner Jura und später im Waadtländer Mittelland auf)
  • M177 (geboren 2020 im Marchairuz-Rudel, hielt sich im Frühling 2023 im Berner Jura auf)
  • M282 (lebte seit 2022 im Waadtländer Jura und wurde wohl im Oktober 2023 legal nach Rissen im Kanton Neuenburg abgeschossen)
  • M344 (geboren 2021 im Marchairuz-Rudel, hielt sich im Frühling 2023 im Kanton Basel-Landschaft auf)
  • M350 (hielt sich im vergangenen Winter im Neuenburger und Waadtländer Jura auf)
  • M377 (war für die Rissserie im Herbst im Berner Jura und im angrenzenden Kanton Jura verantwortlich und lebt wohl noch im Gebiet) 

 

Diverse weitere Wolfsnachweise liegen in fotografischer Form vor. Anhand von Fotos kann jedoch nicht ausgesagt werden, ob es sich um die Wölfe handelt, die gemäss obiger Aufstellung auch genetisch identifiziert wurden oder nicht. 

 

Wölfe im Mittelland 

 

Das Auftreten von Wölfen im Mittelland ist noch weniger stet und die Abgrenzung zwischen Mittelland und Voralpen wird nicht einheitlich definiert. Daher erhebt die nachfolgende Auflistung keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 

 

  • M76 (lebt seit 2017 im oberen Emmental und macht im Winter Ausflüge ins Mittelland, so im Februar 2023 in den Raum Münchenbuchsee)
  • M121 (geboren 2019 im Marchairuz-Rudel, lebte bis 2023 im Rudel und streift seither grossräumig durch den Jurabogen und wurde Ende 2023 und Anfang 2024 mehrfach im Waadtländer Mitteland genetisch festgestellt)
  • M212 (erster im Mittelland sesshafter Wolf, lebte seit Anfang 2022 im Grenzgebiet Waadt-Freiburg und wurde Anfang 2024 gewildert)
  • M241 (kam via Wallis und Berner Oberland ins Mittelland und wurde Anfang 2023 unweit der Stadt Bern nach Rissen legal abgeschossen)
  • M341 (hielt sich 2023 im Grenzgebiet Waadt-Freiburg auf)
  • M362 (hielt sich im Jahr 2023 sowohl im Entlebuch, als auch im Luzerner Mittelland westlich des Sempachersees auf und ist wohl noch anwesend)
  • noch unbekannter Wolf im Raum Rothrist (AG) 

 

Herdenschutz im Mittelland und Jura

 

Das Mittelland bietet hervorragende Voraussetzungen für den Herdenschutz. Dies ist hier leichter umzusetzen als im Berggebiet. Elektrische Zäune, bevorzugt als mobile Weidezäune, können hier überall angewendet werden: Die Topographie ermöglicht überall eine Zäunung, es gibt keine zu steile Flächen. Lockere, tiefgründige Böden erlauben eine gute Befestigung der Zaunpfähle und sind auch geeignet für eine ausreichende Erdung. Die meisten Weiden können direkt mit dem Transportfahrzeug angefahren werden oder befinden sich lediglich wenige Minuten von der Zufahrt entfernt, d.h. der Transport des Zaunmaterials ist problemlos möglich. Oft steht Netzstrom zur Verfügung, namentlich im Umkreis von Höfen und Ställen, so dass die ausreichende Elektrifizierung gewährleistet ist. Im Mittelland können somit Nutztiere überall mit guten, ausreichend hohen und elektrifizierten Zäunen vor Wolfsangriffen geschützt werden, gerade auch von Hobbytierhaltern. Zum Herdenschutz im Mittelland gibt es einen Handlungsleitfaden der Gruppe Wolf Schweiz: Herdenschutz im Mittelland

 

Im Jura präsentiert sich die Situation komplexer. Tiefere Lagen (Täler) sind vergleichbar mit dem Mittelland, höhere Lagen eher mit den Alpen. Der wesentliche Unterschied zum Alpenraum ist, dass es im Jura keine frei weidenden Schafe und Ziegen gibt, auch nicht im Sommer. Alle Herden sind bereits heute eingezäunt, es existieren einige ganz wenige behirtete Wanderherden. Im Vergleich zum Alpenraum braucht es im Jura somit keine tiefgreifende strukturelle Anpassung der Kleinviehsömmerung für den Herdenschutz. Die überwiegende Mehrheit der Herden kann gut wolfsabweisend eingezäunt werden. Für grössere Sommerweiden auf den Jurahöhen empfehlen sich fallweise ergänzend Herdenschutzhunde. Anpassungen braucht es hingegen bei der Weidehaltung von Mutterkühen, sofern diese auf den Weiden abkalben, sowie von reinen Kälberherden, also ohne Begleitung ihrer Mütter (Mast- und Aufzuchtkälber aus der Milchviehhaltung). Für diese braucht es Herdenschutzmassnahmen. Wie diese aussehen können, wird seit einigen Jahren im Kanton Waadt erprobt und auch wissenschaftlich begleitet durch die Fondation Jean-Marc Landry und durch das Projekt Wolves and Cattle

 

Kein stichhaltiges Argument gegen den Herdenschutz für Kleinvieh im Jura sind die traditionellen Wytweiden. Denn diese werden mit Kühen beweidet, nicht mit Schafen und Ziegen. Bereits die übliche lockere Zäunung von Wytweiden, die traditionellerweise mit Steinmauern geschieht und heute oft mit ein oder zwei (Stachel-)Drähten ergänzt wird, ist nicht dazu geeignet, Kleinvieh überhaupt auf diesen Weiden zu halten (keine Hütesicherheit). Wenn punktuell Schafe und Ziegen auf Wytweiden sind, werden diese bereits heute aufwendiger eingezäunt als Kühe, womit es aber nur noch ein kleiner Schritt ist zum Herdenschutz. Schafe und Ziegen, die über mehrere Quadratkilometer wie Kühe fast frei Weiden, gibt es im Jura nicht. Somit steht die traditionelle Bewirtschaftungsform der Wytweiden dem Herdenschutz für Schafe und Ziegen nicht im Weg bzw. kann eine fehlende Zumutbarkeit des Herdenschutzes nicht damit begründet werden.  

 

Wolfsrudel dereinst auch im Mittelland? 

 

Ob sich dereinst auch im Mittelland Wolfsrudel bilden, kann nicht gesagt werden. Jedoch ist dies keinesfalls grundsätzlich auszuschliessen. Mehrere Fallbeispiele aus anderen europäischen Ländern zeigen, dass Wölfe auch im stark menschlich geprägten Landschaften der Tieflagen mit geringem Waldanteil dazu fähig sind, Rudel zu bilden. So gibt es beispielsweise bereits seit einigen Jahrzehnten stabile Wolfsrudel im sog. kastillianischen Getreidegürtel in Spanien, wo Wölfe ihre Welpen im Getreidefeldern werfen und grossziehen. In den vergangenen Jahren haben Wölfe im Nordwesten Deutschlands Rudel gebildet in Landschaften, die weitgehend Kulturland sind und lediglich kleine, inselartige Wälder haben. Auch seit wenigen Jahren ist zu beobachten, dass Wölfe in Italien beginnen, die intensiv landwirtschaftlich genutzte Po-Ebene zu besiedeln und dort Rudel zu bilden. In allen diesen drei Regionen ist der Waldanteil insgesamt geringer als im Schweizer Mittelland, die Bevölkerungsdichte ist zum Teil vergleichbar. 

 

Wölfe sind ausgesprochen lern- und anpassungsfähig. Sie adaptieren an eine neue Umgebung, was sie zu Kulturfolgern macht wie Füchse, Marder, Rehe oder Wildschweine. Sie finden sich entsprechend in Kulturlandschaften gut zurecht. Dieses Verhalten ist weder abnorm, sondern als Teil der Biologie des Wolfes völlig natürlich.  

 


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